Digitale Beratung auf der Verkaufsfläche richtig eingesetzt

POS-Technologie: neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis

Im Zuge der Analyse von Point-of-Sale Technologien initiierte das Einzelhandelslabor im Zeitraum zwischen Oktober 2018 und Januar 2019 zwei umfangreichere Studien zum Thema der Wirksamkeit von Tablets als Ergänzung zu der zwischenmenschlichen Interaktion von Berater und Kunde. Geforscht wurde u. a. bei „Feinbier unterwegs“ aus Siegen, einem Geschäft für Outdoorbedarf und zum anderen beim „Score Shop“ aus Neheim, einem Einzelhändler für Textilien, Schuhe und Accessoires. Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass die aktive Einbindung des Tablets in das Beratungsgespräch, wobei der Kunde die Möglichkeit bekommt, mit auf das Display zu schauen, deutlich vorteilhafter ist, als die Nutzung eines Tablets zur reinen Informationsunterstützung für den Berater. Ferner zeigen sich auch interessante Erkenntnisse hinsichtlich der Zahlungsbereitschaft für das präsentierte Produkt.

Im Einzelnen untersucht das Einzelhandelslabor bereits seit einiger Zeit die Kundenwahrnehmung mit Blick auf Technologien, welche unmittelbar auf der Verkaufsfläche eingesetzt werden. Im Speziellen wurde sich dabei mit der Frage beschäftigt, welchen Einfluss die Nutzung eines Tablets durch den Berater auf die Kundenwahrnehmung und dessen Verhalten hat. Frühere Studien („Die digitale Beratungsunterstützung, ein Mythos für den kleinen stationären Einzelhändler?“) haben im Zuge dessen gezeigt, dass die reine Präsenz eines Tablets vor allem im kleineren, stationären Einzelhandel zu einer statistisch nachweisbaren Verringerung der grundsätzlichen Kompetenzeinschätzung des Beraters durch den Kunden führt. Dieses Phänomen zeigt sich auch hinsichtlich der reinen „Vorbeurteilung“ (oder gar eines „Vorurteils“), das heißt, wenn noch keine zwischenmenschliche Form von Interaktion stattgefunden hat, wurde der Berater mit dem Tablet tendenziell negativer wahrgenommen, als derjenige ohne diese Technologie. Gerade die Relevanz der durch den Kunden wahrgenommen Beraterkompetenz ergibt sich, da diese Fähigkeit am ehesten den Unterschied zum Onlinehandel widerspiegelt. Im Zuge dessen beeinflusst folglich auch die Zufriedenheit des Kunden mit der Beratung entscheidend die allgemeine Wahrnehmung des Ladenlokals.

Test: aktive Verkaufsberatung mit Tablet beim Modellhändler Score Shop in Neheim. Foto: Score Shop.

Neue Online- und Feldstudie der Uni Siegen

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurde in einem neuerlichen Experiment erforscht, welchen Einfluss eine unterschiedliche Form der Einbindung dieser Technologien in das Beratungsgespräch haben kann. Im Detail wurden eine aktive Technologie-Unterstützung, in welchem dem Kunden das präsentierte Produkt sowie etwaige zusätzliche Informationen auf dem Tablet direkt gezeigt wurden, eine passive Technologie-Unterstützung, in der das Tablet lediglich dem Berater als Mehrwert diente und eine traditionelle Beratungsform (ohne Technologieeinfluss) unterschieden. Um möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, wurde dabei sowohl eine Onlinestudie als auch eine Feldstudie durchgeführt. Nachdem die Kunden lediglich eines der beschriebenen Szenarios gesehen haben, wurden ihnen einige Fragen hierzu gestellt. Der zugehörige Fragebogen wurde so konzipiert, dass die TeilnehmerInnen auf einer 7er Skala (1 = stimme überhaupt nicht zu – 7 = stimme voll und ganz zu) ihr persönliches Empfinden zur wahrgenommenen Kompetenz als auch zur Zufriedenheit mit dem Berater verdeckt angeben mussten.

Jeweils von links nach rechts: aktive Technologieunterstützung, passive Technologie-Unterstützung und keine Technologie-Unterstützung. Fotos: Feinbier unterwegs und Score Shop.

Aktiver Tableteinsatz erhöht die Wertigkeit des Produktes

Die Ergebnisse der Studien zeigen zum einen, dass sowohl innerhalb der Onlinestudie (1.294 TeilnehmerInnen) als auch auf der Verkaufsfläche (123 TeilnehmerInnen) ein deutlicher und statistisch nachweisbarer Unterschied mit Blick auf die wahrgenommene Kompetenz als auch auf die Zufriedenheit zwischen der Beratung ohne Tablet (grauer Balken) und der passiven Beratungs-unterstützung ersichtlich war. Allerdings zeigt sich auch, dass die aktive Einbindung des Tablets deutlich stärker in Richtung der traditionellen Beratung (keine Technologie-Unterstützung) tendiert, als zur passiven Unterstützung. Demnach nehmen Kunden, die eine aktive Beratung mit Tablet erfahren haben, einen Mitarbeiter nicht nur deutlich kompetenter war, als Kunden, die eine passive Beratung mit Tablet erfahren haben, sondern sind auch zufriedener mit der Beratung insgesamt. Die Ergebnisse auf der Verkaufsfläche liegen an dieser Stelle enger beieinander (vergleiche Feldstudie).

Ergebnisse der Onlinestudie, Quelle: Uni Siegen.
Ergebnisse der Feldstudie, Quelle: Uni Siegen.

Insgesamt lassen sich in beiden Studien klare Unterschiede zwischen der aktiven und der passiven Einbindung der Technologie ausmachen. Es kann daher vermutet werden, dass die zwischenmenschliche Beratung für den Kunden zwar weiterhin von entscheidender Relevanz ist, allerdings die aktive Einbindung der Technologie in das Beratungsgespräch dieser Beratungsform näherkommt, als eine reine Informationsunterstützung durch das Tablet für den Berater. Für den Kunden scheint folglich der Einbezug des Beraters, indem dieser mittels Handbewegung (o. ä.) auf das Tablet und dessen Inhalte und Informationen aufmerksam macht, einen tatsächlichen Mehrwert im Vergleich zur passiven Unterstützung zu bedeuten. Diese Erkenntnisse lassen die Ergebnisse der vorangegangenen Studie in einem neuen Licht erscheinen und geben Anlass, die Einbindung derartiger Technologien deutlich bewusster anzugehen. Ein weiteres sehr erstaunliches Ergebnis wurde im Zuge der Abfrage der Zahlungsbereitschaft für das entsprechende Produkt deutlich. Es konnte gezeigt werden, dass der Kunde dem präsentierten Produkt den statistisch nachweislich höchsten Wert beimisst, wenn aktiv eine Technologie-Unterstützung (im Schnitt: 66,43€) stattfand und den niedrigsten Wert, wenn es rein auf dem traditionellen Weg (ohne Tablet) beworben wurde (im Schnitt: 62,64€). Die passive Technologie-Unterstützung lag mit durchschnittlich 64,84€ derweil genau zwischen diesen Werten. Inwieweit der Kunde eine höhere informationsbezogene Sicherheit hinsichtlich des präsentierten Produktes verspürt, wenn eine zweite unmittelbar eingebundene (digitale) Informationsquelle zur Verfügung steht, wird daher in den folgenden Studien weiter erforscht.